Tanganjika-Traum-Aquarium
Zur Vergesellschaftung von Tanganjikaseebuntbarschen. Teil 1
In über 20 Jahren meist erfolgreicher Pflege von Cichliden aus dem Tanganjikasee habe ich immer die Idee eines "idealen Tanganjikaseegesellschaftsaquariums" verfolgt, sie war immer ein Traum für mich. Nicht selten allerdings hat auch diese Idee mich verfolgt, denn gelegentlich entwickelte sie sich zum Albtraum. Mein Wunsch ist dabei immer gewesen in einem größeren, biotopnah eingerichteten Aquarium (mehr als 300 Liter) mehrere Arten von Tanganjikaseebuntbarschen in einer größeren Anzahl von Exemplaren so zu vergesellschaften, dass sie über lange Zeit (mindestens 2 Jahre), "einträchtig" zusammenleben. Da viele der Überlegungen, die mit dieser Fragestellung zusammenhängen, nicht nur für Tanganjikaseecichliden von Interesse, sondern von allgemeinem Interesse sind, will ich meine Vorstellungen von einer solchen "Harmonie des Zusammenlebens" etwas ausführlicher beschreiben. Solch ein Zustand der "Ausgewogenheit" wäre meines Erachtens dann erreicht, wenn ein Aquarium so eingerichtet und besetzt ist, dass eine Veränderung der Besetzung auf unbegrenzte Zeit unnötig ist. Das würde heißen, dass von den Fischen selber und ihrem Verhalten kein Grund ausgeht, irgendeine der Arten zu entfernen, auszuwechseln oder andere hinzuzusetzen. Der limitierende Faktor für eine solche Zusammenstellung von Arten wäre nur das erlahmende Interesse des betroffenen Aquarianers. Ein solches "Gleichgewicht" hat natürlich mit einem "biologischen Gleichgewicht" nichts zu tun, das ja in einem Aquarium ohnehin nicht erreicht werden kann. Man könnte es eher als ein "aquaristisches Gleichgewicht" bezeichnen, bei dem Fütterung, Wasserwechsel und Filterreinigung die einzigen Pflegemaßnahmen sind, während der Fischbestand bis auf ein gelegentliches Herausfischen überzähliger Jungfische keine Bekanntschaft mit dem Kescher macht. Ein solcher Zustand eines Aquariums mag manchem aktionsfreudigen Aquarienfreund als Inbegriff der Langeweile erscheinen. Außer bei ausschließlich zu Zuchtzwecken gedachten Aquarien habe ich aber immer wieder versucht, ihn anzustreben. Nicht nur, dass er sich bei einem größeren Aquarienkeller als recht arbeitssparend erweist, Fischgesellschaften dieser Art erlauben meiner Auffassung nach einen viel tieferen Einblick in die natürlichen Lebens- und Verhaltensweisen unserer Aquarienbewohner.
Aquarien mit einem solchen Charakter eignen sich natürlich auch hervorragend als Schauaquarien, besonders wenn sie öffentlich ausgestellt sind.
Es gibt natürlich eine ganze Reihe von Problemen, die den Erfolg mit einem solchen Konzept eines Aquariums verhindern können. Um deren mögliche Vielfalt und Spannweite anzudeuten, seien hier nur einige genannt. Dass Aquarienmitbewohner so ausgesucht werden müssen, dass sie einander nicht auffressen, gehört sicher zu den Binsenweisheiten der Vergesellschaftung von Fischen. Diese Frage wird nur in den seltensten Fällen Überraschungen in sich bergen, wenn etwa ein großer Cyphotilapia frontosa bei zu knapper Fütterung seine sonst so guten Aquarienmanieren aufgibt und so wie im heimatlichen Tanganjikasee frühmorgens im minimalen Dämmerlicht sich unter den schlafenden Mitbewohnern passende Futterbrocken aussucht.
Sehr viel diffiziler und in ihren Voraussetzungen und Folgen weitaus schwerer abzuschätzen, ist die Frage, in welchem Maße sich Aquariengenossen gegenseitig unter Stress setzen. Hier kann die Weise, in der sie das tun, sehr unterschiedlich sein, aber ebenso auch das Maß, das von der vitalitätsfördernden, gelegentlichen Konkurrenz bis hin zur dauerhaften, tödlichen Unterdrückung reichen kann. Dazwischen liegt eine nur wenig offensichtliche Form des Stresses, die trotz der Tatsache, dass sie kaum beobachtet werden kann, durch ihre Dauerhaftigkeit tödlich wirkt. Nahrungsstreitigkeiten aller Arten können dabei als Stressfaktor wichtig sein, sie können aber auch in direkter Weise eine Vergesellschaftung bestimmter Arten unmöglich machen, wenn zum Beispiel gierige und schnelle Fresser Fischen, die ihre Nahrung langsam und bedächtig aufnehmen, immer wieder das Futter wegfressen. Würde man den bereits erwähnten C. frontosa mit gierigen und schnellen Fressern wie manchen größeren Neolamprologus vergesellschaften, so wäre eine angemessene Fütterung dieses etwas scheuen Großcichliden nur ausreichend möglich, wenn sie gezielt separat erfolgen würde.
Ebenfalls das Nahrungsproblem, aber auf eine andere Weise, ist die Ursache dafür, dass man maul-brütende Aufwuchsfresser und fleischfressende Arten nicht vergesellschaften darf. Hier ergibt sich eine "Inkompatibilität" der Ernährungsweise, die dazu führt, dass man immer nur einer Gruppe gerecht werden kann und der anderen konsequenterweise schadet. Ernährt man die Aufwuchsfresser angemessen mit pflanzlichem oder stark pflanzenhaltigem, aber energiearmem Futter, z.B. grünem Flockenfutter, so leiden die Fleischfresser ständig Hunger. Ernährt man diese angemessen mit reichlichen Portionen von energiereichem, aber ballaststoffarmem Futter, z.B. Roten Mückenlarven oder Rinderherz, so werden Aufwuchsfresser, z.B. Tropheus-Arten schon nach kurzer Zeit durch dieses Futter erhebliche, wahrscheinlich sogar tödliche Verdauungsstörugen erleiden.
Neben dem Nahrungsrevier ist es immer wieder das Brutrevier mit dem meist zentral gelegenen Ablaichplatz, das zur Ursache für offenen Streit oder unterschwellige Feindseligkeiten wird, und damit erheblichen Stress verursacht, der ab einem bestimmten Grad eine Vergesellschaftung unmöglich macht. Diese Ursache macht es zum Beispiel unmöglich, mehr als eine angemessene Anzahl von brütenden Paaren von Julidochromis, Telmatochromis oder kleineren Neolamprologus (bis 10 cm, ohne Schneckenbuntbarsche) zusammen zu pflegen. Was "angemessen" ist, hängt natürlich von vielen Faktoren ab, dürfte aber nur selten 2 Paare für ein 100 cm-Aquarium und ein weiteres Pärchen für je 50 cm zusätzliche Länge übersteigen.
Ähnlichkeit und Verschiedenheit.
Es wird deutlich, dass, die Ernährungsgewohnheiten betreffend, die Fischarten sich möglichst ähneln sollten, um vergesellschaftet werden zu können. Aussehen und Verhalten betreffend gilt aber genau das Gegenteil. Sind sich Fische in Körperform und -farbe sehr ähnlich, so werden sie sich, insbesondere die Männchen, als zur gleichen Art gehörig und als Rivalen betrachten und bekämpfen. Zeigen sich Ähnlichkeiten im Verhalten und in ihren Vorlieben (Wahl des Reviers, des Brutplatzes, gleiche Aktivitätsphasen und ähnliches) so ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich solche Arten "in die Quere kommen", dass sich konkurrierendes Verhalten entwickelt, erheblich höher als wenn sie in Bezug auf Aufenthaltsort und -zeit und Verhalten verschiedene "Nischen bewohnen". Aus dem Zusammenspiel von Ähnlichkeit und Verschiedenheit der Arten eine ausgeglichene Besatzung zu kombinieren ist sicherlich nicht nur bei Tanganjika-Cichliden die "hohe Schule" der Vergesellschaftung. Nach meinen Erfahrungen ist im Schnitt nur jeder vierte bis fünfte Versuch einer neuen Artenkombination in diesem Sinne erfolgreich. In den übrigen Fällen wird aus den verschiedensten Gründen manchmal schon nach wenigen Tagen, gelegentlich auch erst nach mehr als einem Jahr ein Wechsel in der Besetzung notwendig. Dieser kann im Auswechseln einer einzelnen Art, manchmal auch in einer völligen Neukombination verschiedener Arten bestehen, immer auf der Suche nach dem Glücksfall einer dauerhaften Mischung. Dass diese erreicht worden ist, weiß man eigentlich nie mit absoluter Sicherheit, denn auch nach langandauernder Harmonie ist eine anfangs kaum bemerkbare, sich dann aber zur Katastrophe ausweitende Entwicklung immer noch möglich. Eigentlich kann man immer nur davon sprechen, einer harmonischen Besetzung nahegekommen zu sein.
Ein besonders kritischer Faktor in der zeitlichen Entwicklung eines Aquariums mit gemischter Besetzung ist der Zeitpunkt der Geschlechtsreife der heranwachsenden Jungtiere. Jeder erfahrene Buntbarschpfleger weiß, dass eine Gruppe von Cichliden, die sich während der Phase des Heranwachsens ausgesprochen harmonisch präsentiert, mit dem Einsetzen der Fortpflanzungsfähigkeit und der Balzaktivität oder Paarbildung zu einer wahren Mörderbande werden kann. Ein Aquarium also, in dem sich Buntbarsche mit Erfolg fortpflanzen, ohne dass ihr Verhalten die "inneren Beziehungen" zu den übrigen Mitinsassen so verschlechtert, dass ein Eingreifen des Pflegers notwendig wird, beweist damit schon ein erhebliches Maß an gelungener Zusammensetzung der vergesellschafteten Arten. Hält diese Ausgeglichenheit des Verhältnisses zueinander über längere Zeit an, überdauert also auch die ersten Balzhandlungen und Verpaarungen aller anderen anwesenden Buntbarschpaare, so wird die Wahrscheinlichkeit, eine harmonisierende Besetzung gefunden zu haben, immer größer. Die Tatsache, dass die Fische sich in Gesellschaft anderer Arten, also nicht in einem reinen Zucht-, sondern in einem Gesellschaftsaquarium fortpflanzen, ist in sich natürlich auch ein Beweis dafür, dass es dem Aquarianer gelungen ist, insgesamt günstige Voraussetzungen für eine naturnahe Lebensweise der Fische zu schaffen. Wenn aus solchen Bruten auch noch wenigstens vereinzelte Jungfische im Gesellschaftsaquarium aufwachsen, so bestätigt dies diesen Beweis noch weiter.
Spätestens nach etwa 2 Jahren müssten alle Arten einer Besetzung die Geschlechtsreife und damit diese kritische Phase hinter sich gelassen haben, so dass eine Besatzung nach Ablauf dieser Zeit als relativ stabil gelten kann. Aber nicht nur das Heranwachsen junger Tiere zu adulten Exemplaren kann zu Instabilitäten führen, sondern auch das Gegenteil kann sich in dieser diffizilen Frage als problematisch erweisen.
Ein Beispiel kann erneut die Vielfalt der Beziehungen der Arten und Veränderlichkeit der Voraussetzungen am besten erläutern. Es war mir über längere Zeit hinweg gelungen, die größte und die kleinste bei uns üblicherweise aquaristisch gepflegte Art von Tanganjika-Cichliden miteinander zu vergesellschaften, also C. frontosa und Neolamprologus multifasciatus. In einem 400-Liter-Becken von 130 cm Länge fühlte sich eine kleine Kolonie dieser Schneckenbuntbarsche im Vordergrund an der Aquarienscheibe ausgesprochen wohl. Die Kolonie aus 30 bis 40 Fischchen hatte sich aus einem Trio (1 Männchen, 2 Weibchen) innerhalb eines halben Jahres entwickelt. Die erwachsenen Schneckenbuntbarsche zeigten gegenüber dem 35 cm messenden Männchen der Großcichliden keinerlei Respekt, sondern kniffen ihn eher aufdringlich in die lang ausgezogenen Flossenspitzen. Der Frontosa nahm diese gelegentlichen Attacken nicht wirklich ernst, hätte sich aber aufgrund seiner größeren Unbeweglichkeit sowieso nicht wirklich dagegen wehren können. Zwischen diesen "Parteien" herrschte somit eine Form des Gleichgewichts. Auch die drei Frontosa-Weibchen würdigten die kleinen Neolamprologus keines Blickes.
Als allerdings drei Jungfische aus einer der vielen Bruten dieser Weibchen im Becken heranwuchsen, änderte sich die Situation schlagartig und die Schneckenbuntbarsch-Kolonie wurde in kurzer Zeit, bis auf drei oder vier verbleibende Fische, völlig dezimiert. Da ich selber nie direkt beobachten konnte, auf welche Weise genau sie verschwanden kann ich über die Gründe für diese radikale Veränderung bis heute nur spekulieren. Vielleicht waren die winzigen Mitbewohner für die erwachsenen Frontosa zu kleine Nahrungshappen, für die Jungtiere anfangs zu große Brocken, um von Interesse zu sein, und nur bei einer bestimmten Größenrelation zwischen den heranwachsenden Räubern und ihrer Beute waren die Schneckenbuntbarsche wirklich ein "gefundenes Fressen". Vielleicht habe ich aber auch selbst, ohne dies zu wollen und zu bemerken, durch veränderte Fütterungsgewohnheiten, den Frontosa oder den mit vergesellschafteten Neolamprologus obscurus erst "Appetit gemacht". Vielleicht sind die Schneckenbuntbarsche auch durch die veränderten Bedingungen (Heranwachsen von 3 Frontosa-Jungtieren von 1,5 auf 15 cm) auch derart unter Stress geraten, dass ihr sonst sehr harmonisches soziales Gefüge zusammenbrach mit katastrophalen Folgen für den gesamten Stamm. Da die lange vorher andauernde Harmonie meine Beobachtungsgenauigkeit doch etwas reduziert hatte und da das ganze Unglück in kürzester Zeit über die Schneckencichliden hereinbrach, gab es keinerlei Beobachtungen, die einen Hinweis hätten geben können, welcher dieser Erklärungsversuche der wahrscheinlich zutreffende war. Schließlich hätte es statt den eher naheliegenden, plausiblen Gründen ja auch noch ein von mir völlig unbeobachteter, ja vielleicht noch ganz unbekannter Grund sein können, der den ganzen Vorgang auslöste.
Welcher Grund es denn nun schließlich wirklich war, ist aber auch nicht entscheidend, da es mir vor allem darum geht, die Vielfalt der Faktoren zu demonstrieren, die auf eine vergesellschaftete Gruppe von Fischen in einem Aquarium Einfluss nehmen. Neben einer Reihe von Einflüssen, die bei genauer Beobachtung einer Fischgesellschaft gut erkennbar sind, gibt es sicher immer wieder Ursachen für das Misslingen einer spezifischen Vergesellschaftung, die vom Aquarianer gar nicht erkannt werden, manchmal nicht erkannt werden können. Zu komplex ist das biologische Beziehungsgebilde schon in einem so eng umgrenzten Raum wie in einem Aquarium und zwischen seinen Bewohnern.
Interessant ist der Gedanke, welchen Grad der Komplexität die Beziehungen der Arten in ihrem natürlichen Lebensraum erreichen müssen, wenn die kleine Zahl von Arten, die wir in einem Aquarium vergesellschaften, schon so komplizierte Beziehungen miteinander eingehen. Natürlich sind die Bedingungen in der freien Natur weitgehend andere, weil der Lebensraum der Fische kein eng umgrenzter ist wie in einem Aquarium. Ein Biotop, als offenes System, ist dagegen ungleich komplexer und vielfältiger.
Statt eine gezielte Maßnahme gegen einen eindeutig erkannten Missstand ergreifen zu können, muss der Aquarianer sich oft genug auf seine Intuition, auf eine eher gefühlsmäßige, wenn auch auf Erfahrung beruhende Einschätzung der Situation verlassen und dann abwarten, ob seine Maßnahmen erfolgreich sind. Erfahrungswerte aus vorangegangenen, ähnlichen Situationen, wie sie hier mitgeteilt werden sollen, sind dann hilfreich, aber es liegt in der Natur der Sache, dass auch sie den Erfolg nicht garantieren.